Georges Perec wurde am 7.März
1936 in Paris geboren. Sein Vater fiel im Krieg, seine Mutter wurde in
einem deutschen KZ ermordet. Er besuchte das College d'Etampes und
schrieb sich an der philosophischen Fakultät der Sorbonne ein, besuchte
die Vorlesungen jedoch nur sporadisch. Er verdiente sich eine Zeitlang
seinen Lebensunterhalt als Meinungsbefrager, dann folgte ein einjähriger
Aufenthalt in Tunesien. 1962 nach Paris zurückgekehrt, wurde er am
dortigen Institut für Neurophysiologie Dokumentarist. Seit Ende der
sechziger Jahre war er Mitglied von OuLiPo, d. i. die «Werkstatt für
potentielle Literatur», zu deren Gründungsmitgliedern Raymond Queneau
gehörte. Perec unternahm auf Einladung diverser Kulturinstitute Reisen
nach Amerika, Australien sowie innerhalb Europas. Nach dem Erfolg seines
Romans «Das Leben Gebrauchsanweisung» gab er seine Arbeit am
neurophysiologischen Institut auf und wurde freier Schriftsteller. Bei
der Wochenzeitschrift «Le Point» hatte= ihm seit 1976 eine Chronik der
Kreuzworträtsel anvertraut. Er schrieb neben seinen experimentellen
Romanen, Gedichten und Dramen auch mehrere Drehbücher und erhielt
bedeutende Auszeichnungen, so den Prix Renaudot, den Prix Jean Vigo und
den Prix Medicis. In seinen ironischen wie chronistischen Texten, die
auf eine Verbindung von Phantasie und Realität zielen, macht er
wiederholt Reflexionen über die Sprache selbst zum Thema, der
Erzählvorgang gewinnt gegenüber dem Erzählten. Georges Perec starb am
4.. März 1982 in einem Pariser Krankenhaus an Lungenkrebs. |
Vorwort
Wo bald schon klar wird, daß damit
Fluch und Qual anfängt
Kardinal, Rabbi und Admiral, als Führungstrio null und nichtig und
darum völlig abhängig vom Ami-Trust, tat durch Rundfunk und
Plakatanschlag kund, daß Nahrungsnot und damit Tod aufs Volk zukommt.
Zunächst tat man das als Falschinformation ab. Das ist Propagandagift,
sagt man. Doch bald schon ward spürbar, was man ursprünglich nicht
glaubt. Das Volk griff zu Stock und zu Dolch. «Gib uns das tägliche
Brot», hallts durchs Land, und «pfui auf das Patronat, auf Ordnung,
Macht und Staat». Konspiration ward ganz normal, Komplott üblich. Nachts
sah man kaum noch Uniform. Angst hält Soldat und Polizist im Haus. In
Mäcon griff man das Administrationslokal an. In Rocamadour gabs Mundraub
sogar am Tag: man fand dort Thunfisch, Milch und Schokobonbons im
Kilopack, Waggons voll Mais, obwohl schon richtig faulig. Im Rathaus von
Nancy sahs schlimm aus, fünfundzwanzig Mann schob man dort aufs
Schafott, vom Amtsrat bis zum Stadtvorstand, und, ruckzuck, ab war ihr
Kopf. Dann kam das Mittagsblatt dran, da allzu autoritätshörig.
Antipropaganda warf man ihm vor und Opposition zum Volk, darum brannt
das Ding bald licht und loh. Ringsum griff man Docks an, Bootshaus und
Munitionsmagazin.
Bald danach, so ausfällig ward das Volk, griff man sogar Muslims aus
Nordafrika an und natürlich Buchsbaums und Abrahams und was sonst noch
jüdisch war. So kams zum Pogrom in Drancy, in Livry-Gargan, in
Saint-Paul, in Villacoublay, in Chgnancourt. Dann folgt Abschlachtung
von Nachbarn, nur so zum Spaß. Tollwütig spuckt man ins Antlitz vom
Kaplan, wo vorm Trottoir 'm C. R. S.-Major Absolution gibt. 'n Hans
Lustig macht ihm durch Jataganschlag'n Garaus. Kaltblütig bringt man
fürn Stück Wurst Oma und Opa um, fürn Stück Brot'n Cousin, 'n Nachbarn
für Obst, 'n Quidam gar für Kaviar.
Anfang April, nachts, von Sonntag auf Montag, folgt Dynamitanschlag auf
Dynamitanschlag, fünfundzwanzig an Zahl. Dann flog man Luftangriff um
Luftangriff auf 'n Turm von Orly. Kurz darauf stand das Alhambra in
Brand, das Institut Francais raucht, das Hospital Saint-Louis flammt
auf. Vom Parc Montsouris bis zur Nation schauts wüst aus, Wand um Wand
fällt um und wird zu Staub.
Im Palais Bourbon hat Opposition, giftig und scharfzüngig, nur noch Hohn
und Spott übrig fürn Machtapparat, wo daran zwar Anstoß nimmt, doch
sonst nichts tun kann, auch nichts tun will und fahl und fickrig
Situation und so hinnimmt. Am Quai d'Orsay bringt man Ordonnanz um
Ordonnanz um, sag und tipp achtundzwanzig Mann. In Latour-Maubourg
schlägt man Hollands Konsul tot. Anchovis nämlich stahl das Aas, drum
war man auf ihn spitz. In Wagram schlug man Graf Koks bis aufs Blut, war
Graf Koks doch so unvorsichtig und töricht, Armut und Not als
unaristokratisch abzutun. Am Raspail nahm sich Jung-Wiking mit Blondhaar
Armbrust zur Brust und schoß grundlos auf Mann und Frau, so ihm nicht
paßt.
Korporal Brun ward plötzlich hungrig und durstig und stahl Most und
Pudding. Dann knallt Korporal Brun das Bataillon ab, vom Major bis zum
Soldat Arsch, und da Burns so großartig killt, Barrasausbildung bringt
das halt mit sich, macht ihn Vox Populi zum Großadmiral, doch tat ihm
das nicht gut, da das Schicksal bald schon zu- und ihn totschlug.
Hauptmann X gönnt ihm nämlich das Hochbinaus nicht und killt ihn kurz
darauf tückisch und bösartig.
'n Witzbold, doch man fand das gar nicht so witzig, goß am Tor
Saint-Martin Napalm aus, worauf Panik ausbrach. Auch in Lyon wars
schlimm, Tod kam dort Tag und Nacht durch Skorbut, Typhus und Durchfall.
Aus Blödsinn, da's sonst nicht Grund noch Motiv dazu gab, schloß Amtmann
Vavin, im Kopf nicht ganz dicht, Bars, Bistros, Kinos und Dancings.
Darauf griff Durst um sich. Frühling wars nämlich, Anfang Mai, doch
wahnsinnig warm schon; plötzlich ging 'n Autobus in Brand, so hitzig
wars, und fünf von acht Mann traf das, wozu man manchmal Solarstich
sagt.
Bald darauf hob man das Sportas, das das Volk kurzfristig in Bann
schlug, aufs Schild. Man macht ihn zum König und mannt ihn hinfort nicht
AttilaHI., was das Sportas sich wünscht, man zwang ihm Fantomas XVIII.
auf. Das paßt ihm ganz und gar nicht. Man schlägt ihn darum von Hand tot
und macht nun so 'n Hansdampf zum Fantomas XXIII. Man gibt ihm Strick,
Thron, Gold und Platin und trägt ihn im Triumph zum Palais-Royal. Doch
dort kam Fantomas nicht an. Mord harrt auf ihn. 'n Schlagtot ruft: «
Stirb, du Tyrann! Zu mir, Ravillac!», und schon ists zu spät.
Dolchdurchbohrt fällt Fantomas um. Man wirft ihn sofort ins Grabloch.
Acht Tage darauf kommts zur Grabschändung, doch das Warum kam nicht
raus.
Dann taucht noch 'n König auf, fränkisch natürlich, 'n Hospodar, 'n
Maharadscha; zwo Romuli, acht Alarichs, fünf Atatürks, acht Mata Haris,
'n Gajus Gracchus, 'n Fabius Maximus Rullianus, 'n Danton, 'n Saint-Just,
'n Pompidou, 'n Johnson (Lyndon B.), Adolfs zuhauf, zwo Mussolinis, fünf
Caroli Magni, 'n Washington, 'n Otto, wo sofort Habsburgs Haß auf sich
zog, Dschingis-Khan alias Timur Ling, wo, Mordlust im Blick,
kollaborationslos zwölf Pasionarias killt, zwanzig Maos, achtundzwanzig
Marx' ('n Chico, zwo Karls, fünf Grouchos, zwanzig Harpos).
Zum Volkswohl schafft Marat kurz darauf das Bad ab, doch Charlot Corday
traf ihn auch so und murkst ihn im Waschtopf ab.
Macht war somit durch Abschaffung und Auslöschung unmöglich: zwo Tag
darauf schoß man mit Tanks vom Quai d'Anjou aus aufs Dach vom Turm
Suly-Morland, wo Magistrat und Administration Zuflucht fand. 'n Amtsrat
ging bis |