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... nur wenige Tage vor uns war ein anderer Besucher
hier - und dieser konnte seine Impressionen in sehr gehaltvolle Worte fassen
- er hatte ganz offensichtlich vorab gründlich viele auch historische
Zusammenhänge recherchiert und zieht überdenkenswerte Schlussfolgerungen auf
unsere Zeit Christoph Reichelt am 7.9.2014 Ich mag gar nicht daran denken: Wie viel Prozent der Befragten würden
bei einem Straßeninterview wohl auf die Frage, was das "Bauhaus" sei mit
"eine Baumarktkette" antworten? Wie sehr oder wenig sind sich Menschen, die
gestaltete Produkte kaufen, darüber im Klaren, welche unglaubliche Bedeutung
diese Gestaltungsschule für das Aussehen unserer Umwelt hat?
Nur zehn Jahre lang wurde am Bauhaus geforscht und gelehrt – unter
schwierigen Bedingungen, denn es gab von allen Seiten, besonders aber von
der politischen Rechten, erheblichen Widerstand. Und die Studenten waren
größtenteils arm. Es gehörte zu den Ideen des Bauhaus, dass der Schüler
"ohne den Scheck vom Vater", wie Gropius einmal schreibt, also in
Unabhängigkeit und Freiheit, selbst bestimmt lernen und leben sollte.
Seine Bedeutung hat das Bauhaus dann vielleicht auch weniger wegen seines
Einflusses auf die Ästhetik des 20. Jahrhunderts. Wichtig ist es viel mehr,
weil hier eine waschechte Sozialutopie verfolgt wurde, eine konkrete Utopie,
die gleich vor Ort ausprobiert wurde.
Man denkt an strenge Formen und industrielle Produktion, wenn man das Wort
Bauhaus hört und vergisst, dass hier nicht nur eine Wiederversöhnung aller
gestaltenden Berufe versucht wurde, sondern auch unbändige Spiellust,
Frechheit, Experimentierfreude und Optimismus gediehen – und zwar in einem
fast klösterlichen Umfeld.
Als ich vergangenes Wochenende durch die Räume des von Walter Gropius 1925
gestalteten Bauhaus lief, traf mich, unvorbereitet, eine tiefe Rührung.
Nicht nur, dass es diesen so besonderen Ort, nach tausend und 40 Jahren
Ideologie, noch gibt berührte mich, sondern auch, dass er eine solche
unprätentiöse Anmut besitzt. Die berühmten Bauhaus-Sofittenleuchten sind in
ihrer zerbrechlichen Einfachheit so schön, dass man das Gefühl hat, einen
unendlich wertvollen Schatz zu sehen. Kein Foto kann das wiedergeben. Und
wenn die Knäufe der Türen des Bühnenraumes in metallgefasste Aussparungen in
der Wand gleiten, so dass die Tür in einem echten 90°-Winkel sanft offen
gehalten wird, dann hat man den Eindruck, hier sei nicht nur Präzision am
Werk, sondern auch eine Art Zärtlichkeit der Dinge. Im Speisesaal stehen
Hocker, auch sie berühmt, gestaltet und gebaut in der Metallwerkstatt des
Bauhauses. Sie sind sehr einfach, und doch fällt die Würde, die dieses
kleine Möbel hat und die es (ohne Rückenlehne) dem darauf Sitzenden lässt,
sofort ins Auge – zumal, wenn man vergleicht, worauf heute Tausende von
Stundentenhintern schwitzen… Das Ganze strahlt eine irgendwie liebevolle
Strenge aus. Liebevoll, weil so viel Energie in die Details investiert
wurde, und auch, weil spürbar wird, wie groß der Wunsch war, die Dinge, die
Welt besser und wesentlicher zu machen.
Man weiß, dass die Glasfassade des Werkstatttraktes diesen im Sommer zum
Treibhaus machte, während im Winter auch innen Minusgrade herrschten. Das
Dach das Bauhaus war undicht, die Akustik fragwürdig und die
Platzverhältnisse unausgewogen. Kunstgeschichtler nennen dies die "heroische
Moderne", und sicher ist ein wenig Heldentum nötig gewesen, um diese
Gebäude, die eigentlich Experimentalbauten waren, nutzen und lieben zu
können. Aber auch mit diesen Mängeln war die Architektur, das Design, die
Gestaltung dieser Zeit wertvoll und gut.
Denn, neben der Arroganz, alles neu und besser zu machen als alle
Generationen davor, war da auch so etwas wie Demut. "Wir probieren es!", war
die Devise und nicht: "Wir wissen es." Überall wird die Bereitschaft
spürbar, das Material zu befragen, technische Prinzipien wirklich zu
erforschen und die Gesetze der Wahrnehmung der Dinge durch den Menschen neu
zu entdecken. Die berühmte Umfrage unter den Meistern und Schülern, welche
Farbe welcher geometrischen Grundfigur entspräche mag uns heute amüsieren.
Aber in ihr kommt zum Ausdruck, wie sehr man bereit war, hinzusehen,
zuzuhören und Regeln zu entdecken, von den Wurzeln an – radikal.
Was ist in nicht einmal hundert Jahren passiert, dass wir beinahe hochmütig
auf diese Zeit und ihre Bemühungen blicken? Ein kleiner Prozentsatz von uns
lebt in Wohnungen, deren Gestaltung von Bauhaus-Ideen und Bauhaus-Ästhetik
beeinflusst ist. Eine weitere kleine Gruppe lebt in einem Umfeld (oder wuchs
zumindest darin auf), das vom Geschmack des 19. Jahrhunderts durchtränkt
ist. Aber die allermeisten haben kaum eine andere Wahl, als in einem mehr
oder weniger geschmackvoll ausgewähltem Durcheinander von so billig wie
möglich hergestellten, mit kalt lächelnder Nonchalance gestalteten und
weniger substanziellen als virtuellen Gegenständen zu leben. Und selbst
Substanzialität wird heute, wie bei Manufactum, zur Masche, zur Haltung, zu
etwas, das man vorzeigt.
Der Unterschied zwischen der politisch oder weltanschaulich motivierten
Arbeit der Bauhaus-Gestalter, die in konkreten Produkten mündete und der
heutigen Methode, konkrete Produkte mit Lebensgefühlen aufzuladen, um sie
verkaufbarer zu machen ist der zwischen zwei Welten. Unsere Welt, mit ihren
Zielgruppen, Images und Moodboards knüpft im Grunde an die Frühphase der
Industrialisierung an, auch wenn durch die Moderne das Vokabular erweitert
wurde und nicht mehr so viele "Stilmöbel" in Fabriken hergestellt werden.
Der Punkt ist, dass es eben nicht um Freiheit geht! Es geht um das Binden
von Kaufkraft, das Aktivieren noch der letzten Ressourcen des "Verbrauchers"
(was für ein grausames, verächtliches Wort für einen Menschen) für den
wirtschaftlichen Erfolg, es geht, letzten Endes, um die Herrschaft des
Geldes. Der Designer ist, nolens volens, die Oberhure in diesem Geschäft.
Wenn er seine Arbeit ordentlich gemacht hat, hat er dennoch etwas Gutes
getan, denn sauber gestaltete, funktionierende und angenehme Produkte sind
unter allen Bedingungen besser als schlechte. Aber wenn wir uns fragen, ob
wir als Gestalter einmal etwas Wesentliches zur Weiterexistenz der
Menschheit, zur Wertfindung und zum "besseren Leben" beitragen können, dann
müssen wir vielleicht noch einmal zurück gehen in diese andere Welt, in die
Zeit der Utopien und der hoffnungsvollen Zukunftsvisionen.
Die Zeit des Bauhaus war ideologisiert bis zur Unerträglichkeit. Man sieht
das an all den Manifesten und Pamphleten, die damals geschrieben und
verteilt wurden, aber auch an den Straßenschlachten, politischen Morden und
schließlich am kollektiven Wahnsinn des so genannten "Dritten Reiches". Und
doch gab es eine heftige Tendenz zu Reinheit und Freiheit am Bauhaus und bei
anderen Helden der Moderne. Die Leistung der Moderne besteht nicht so sehr
in der Etablierung einer neuen Ästhetik, sondern in der Reinigung der Dinge.
Die Gegenstände sollten befreit werden von einer alten Formsprache, die
Ideen, Vorstellungen und (größtenteils im Untergang begriffene) Werte
transportierte.
Immer wieder ist von Transparenz, Klarheit, Reinheit und Hygiene die Rede,
wenn die Moderne spricht. Gerade den letzten Begriff, den der Hygiene, kann
man ernst nehmen und ihn mit gutem Gewissen erweitern: Es gibt auch eine
emotionale Hygiene, eine Reinheit des Lebensgefühles, eine Freiheit von
emotionalen Bindungen an Dinge. Danach hat die Moderne ursprünglich
gestrebt, und das wurde von der so genannten Postmoderne als Wert verleugnet
oder nicht akzeptiert. Und wir beherrschen das Spiel mit den Emotionen
perfekt, wir haben die Materie im Griff, und sie spricht genau so wie wir
wollen, damit wir sie noch mehr begehren.
Was würde – und hiermit kriegen wir nun doch recht zwanglos die Kurve
zum Automobildesign – was würde geschehen, wenn Autos überwiegend nach
Kriterien der Funktionalität und des Nutzens gekauft würden? Wenn der Kampf
um das tollere, schnellere, beeindruckendere Auto einfach auf breiter Front
beendet würde? Nein, das Leben würde nicht langweiliger, wir würden auch
nicht doppelt so lange für die Strecke nach Hamburg brauchen. Was vor allem
anderen passieren würde ist, dass jeder Einzelne Ressourcen frei bekäme!
Zeit, Geld, Lebenskraft! Wie gerne wird er zitiert, der freche Spruch vom
"mit Geld, das man nicht hat Dinge zu kaufen, die man nicht braucht, um
Leute zu beeindrucken, die man nicht mag". Aber er ist eigentlich gar nicht
lustig. Er ist der Ausdruck einer totalen Abhängigkeit von fremd bestimmten
Idealen des Status, durch die jede Freiheit, ein wirklich eigenes Leben zu
finden, aufgebraucht wird. Und er ist wahr. Hier liegt die eigentliche
stille Kraft, die aus der frühen Moderne immer noch zu uns fließt, wenn wir
sie ernst nehmen und ihr ihre Fehler verzeihen: Dass sie uns aus der
Souveränitätsfalle führen kann. Die Moderne kann uns lehren zu verlernen,
wie wir uns gegenseitig durch Dinge binden und an Dinge binden. Sie kann dem
Gestalter seine virtuelle Herrscherkrone nehmen und ihn wieder zum Diener
aller machen.
Status, den man kaufen kann hat in Wahrheit sowieso keine Bedeutung – eben,
weil ihn jeder kaufen kann. Was also sonst könnte uns motivieren, ein
Produkt gut zu finden und es, als Gegenleistung für unsere eigene Arbeit,
erwerben zu wollen? Die Moderne hatte ihre eigenen, demütigen und
gleichzeitig überschäumend freien Ideen hierzu.
Gehe zurück auf Loos. Ziehe nicht 4.000 € ein. Frage dich, was eigentlich
dein Wert ist.
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