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Der Mangel an preiswertem
Wohnraum, der durch die Stagnation der Bautätigkeit während des Ersten
Weltkriegs noch forciert wurde, führte seit Beginn der Weimarer Republik zu
verstärkten öffentlichen Anstrengungen im bis dahin weitgehend privaten
Wohnungsbau. Unter der Prämisse Licht, Luft und Sonne sollten Wohnungen
entstehen, die für eine große Bevölkerungsschicht erschwinglich waren.
Die von 1926 bis 1928 im Auftrag der Stadt Dessau gebaute Siedlung Törten
entstand im Rahmen des Reichsheimstättengesetzes, d. h., die Häuser waren
von Anfang an im Besitz der Bewohner. Mit der „halbländlichen" Siedlung
wollte das Bauhaus Probleme des preisgünstigen Massenwohnungsbaus praktisch
lösen.
Gropius entwarf eine Reihenhaussiedlung mit Nutzgärten von jeweils 350 bis
400 qm für den Gemüseanbau und die Kleintierhaltung zur Selbstversorgung. In
insgesamt drei Bauabschnitten entstanden 314 Reihenhäuser, die je nach
Haustyp zwischen 57 und 75 qm Wohnfläche aufweisen. Die Haustypen wurden in
verschiedenen Varianten gebaut, um in einem ab 1927 angelegten umfangreichen
Versuchsprogramm der Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im
Bauund Wohnungswesen Aufschlüsse über eine rationelle Herstellung von
Wohnbauten, aber auch über die Eignung neuer Baustoffe und Industrieprodukte
zu erhalten. Die Baustelle war, einer Taktstraße ähnlich, so organisiert,
dass von spezialisierten Arbeitsbrigaden immer mehrere Häuser eines
Bauabschnitts zugleich gebaut werden konnten. Die vor Ort vorgefertigten
Bauteile wie z. B. sogenannte Rapidbalken aus Beton wurden mit einer kleinen
Bahn transportiert und von Kränen bewegt.
Die hellen Kuben sind spiegelbildlich zu Doppelhäusern und zu Gruppen von
vier bis zwölf Einheiten zusammengefasst. Die Fassaden wurden durch
vertikale und horizontale Fensterbänder gegliedert; das Innere war in hellen
Farben gehalten. Die von den Bauhauswerkstätten angebotenen speziellen Möbel
fanden keine Käufer. Die Konstruktion der Häuser ergab sich aus der
Notwendigkeit Kosten sparenden Bauens: Die tragenden Wände sind aus
vorgefertigten, preiswerten Schlackenbetonhohlkörpern errichtet, die Decken
wurden aus armierten Stahlbetonträgern hergestellt. Kurz nach Fertigstellung
zeigten sich jedoch Bau- und Planungsmängel, so dass die Eigentümer und
Bewohner schon bald zahlreiche Veränderungen vornahmen. Die ersten
Veränderungen vor allem der zu hoch gelegenen Fensterbänder begannen
zunächst nach einem einheitlichen Plan im Jahre 1934. Von der ursprünglichen
Einheitlichkeit der Siedlung ist heute deshalb nur noch wenig zu spüren. Das
Haus am Mittelring 38 wurde ab 1992 als erstes originalgetreu
wiederhergestellt. Es wird heute von der Moses-Mendelssohn
Gesellschaft genutzt und ist ebenso zu besichtigen wie das Haus Kleinring 5.
Seit 1994 existiert eine Erhaltungs- und Gestaltungssatzung zum Schutz des
Orts- und Straßenbildes in der Siedlung, mit der die baulichen Maßnahmen mit
der historischen Substanz in Einklang gebracht werden sollen. |