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Euripides (um 480 bis ca.
406 v. Chr.), griechischer Dichter. Er war der jüngste der drei antiken
Tragiker innerhalb der griechischen Literatur, zu denen neben ihm noch
Aischylos und Sophokles gehören. Mit seinen Werken (22 Tetralogien sollen
aufgeführt worden sein) hatte er nicht nur großen Einfluss auf das attische
und römische Drama (Aristophanes, Seneca), sondern auch auf die gesamte
Entwicklung der abendländischen Tragödie, in Frankreich namentlich auf
Corneille und Racine, in Deutschland u. a. auf Klinger, Wieland, Schiller,
Goethe und Grillparzer.
Im Gegensatz zu
►Sophokles
und
►Aischylos
stellte der jüngste der großen griechischen Tragödiendichter nicht mehr die
griechische Götterwelt oder heroische Figuren der Vergangenheit, sondern
menschliche Gestalten mit widersprüchlichen Zügen in den Mittelpunkt seiner
Dramatik.
Der Überlieferung nach wurde Euripides auf Salamis geboren, möglicherweise
am Tag der großen Schlacht von Salamis zwischen Griechen und Persern. Ob er
wohlhabenden oder eher bescheidenen Familienverhältnissen entstammte, ist
nicht geklärt, sicher jedoch genoss er eine ausgezeichnete Erziehung und
Bildung. Ab 454 v. Chr. wurden seine Werke in den so genannten Agonen,
regelmäßig veranstalteten Dichterwettbewerben in Athen, aufgeführt; 442 v.
Chr. erzielte er dabei seinen ersten Sieg. Neben dem Schauspiel galt sein
Interesse besonders der Philosophie und den Naturwissenschaften. Euripides
starb vermutlich am Hof von König Archelaos in Pella (Makedonien).
Obgleich Euripides keiner bestimmten philosophischen Schule anhing, sind in
seinen Werken Einflüsse der Sophisten (namentlich Protagoras) sowie der
Philosophen Anaxagoras und Sokrates erkennbar. Auch sind seine Schriften von
starkem Rationalismus und Skeptizismus geprägt. Euripides fühlte sich von
seinen Zeitgenossen oft missverstanden. Häufig wurde er zur Zielscheibe des
Spottes attischer Komödiendichter. So wird er z. B. in Aristophanes’ Komödie
Batrachoi (Die Frösche, uraufgeführt 405 v. Chr.) auf die Bühne gebracht, wo
der kurz zuvor verstorbene Dichter in der Unterwelt mit oftmals witzig
verdrehten Eigenzitaten gegen Aischylos um die Dichterkrone kämpfen muss.
Hier erscheint Euripides als Sophist, der gegen den anderen Tragiker
rhetorisch keinerlei Chance hat.
DIE DRAMEN
Von den etwa 92 Stücken, die Euripides zugeschrieben werden, sind 75 ihrem
Titel nach bekannt, jedoch nur 17 Tragödien und das Satyrspiel Kyklops
erhalten. Von zahlreichen Dramen ist zudem das Entstehungs- bzw.
Aufführungsjahr überliefert, so von Alkestis (438 v. Chr.), Medeia (431 v.
Chr., Medea), Hippolytos stephanephoros (428 v. Chr., Der bekränzte
Hippolytos), Troades (415 v. Chr., Die Troerinnen), Helene (412 v. Chr.,
Helena), Orestes (408 v. Chr., Orest), Iphigeneia he en Aulidi (Iphigenie in
Aulis) und Bakchai (Die Bakchen). Die letzten beiden gelangten erst 405 v.
Chr., ein Jahr nach seinem Tod also, zur Aufführung. Von anderen Dramen des
Euripides ist das Entstehungsdatum unbekannt, so von Andromache, Herakleidai
(Die Herakliden), Hekabe, Hiketides (Die Schutzflehenden), Elektra, Herakles
(Der wütende Herakles), Iphigeneia he en Taurois (Iphigenie bei den Taurern),
Ion und Phoinissai (Die Phönikierinnen).
Euripides bezog die Inhalte seiner Stücke im Wesentlichen aus denselben
Quellen wie andere griechische Dramatiker, wenngleich er sie manchmal
abwandelte, um sie dem Handlungsverlauf anzupassen. Meist verarbeitete er
Stoffe aus der griechischen Mythologie, wie den klassischen Sagenkreis um
Theseus. Neue Bereiche erschloss er für Dramen stark emotionalen Inhalts, so
z. B. für die Geschichten der Helden Bellerophon und Phaethon, die von ihm
erstmals im dramatischen Zusammenhang verwendet wurden. In den nach seinem
Tode aufgeführten Bakchai (Die Bakchen) stellte er die
orgiastisch-enthemmenden Rituale des Dionysos-Kultes als irrational und
gefährlich dar: Vom Wahnsinn des Dionysos geschlagen, zerfleischen Agaue und
die Frauen von Theben Pentheus, ohne dass Agaue diesen als ihren Sohn
erkennt.
Anders als die Werke von Aischylos und Sophokles spiegeln die Tragödien des
Euripides den moralischen, gesellschaftlichen und politischen Wandel wider,
der sich gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr., zur Zeit des
Peloponnesischen Krieges also, in Athen vollzog. Die Naturwissenschaften
erlebten eine Blütezeit, das Streben nach Wissen wurde zu einer wichtigen
Antriebskraft. Der Naturphilosoph Anaxagoras leugnete die Göttlichkeit der
Sonne, die er als glühende Steinmasse beschrieb. In allen Wissensbereichen
erlangte man neue Erkenntnisse. Euripides trug dieser Säkularisierung des
Denkens Rechnung, indem er das neue Bewusstsein in die Tragödie einführte.
So stehen im Mittelpunkt seiner Dramen nicht länger Gestalten der
griechischen Götterwelt oder heroische Helden der griechischen Geschichte –
bzw. die von ihnen verkörperte göttliche und moralische Ordnung –, sondern
menschliche Figuren in ihrer ganzen leidenschaftlichen Widersprüchlichkeit
(dies gilt vor allem auch für seine Frauengestalten, denen er im Gegensatz
zu früheren Dramatikern größere Aufmerksamkeit verlieh). Diese sind Träger
realistischer, fast umgangssprachlicher Dialoge. Die in die Nähe der
Sophistik gerückte kritisch-rationalistische Haltung des Euripides stieß
unter Zeitgenossen auf große Kritik, so dass seine Stücke zwar weithin
bekannt, zunächst aber nicht sehr erfolgreich waren. Möglicherweise war die
Enttäuschung über diesen Umstand der Grund dafür, dass er später Athen
verließ und nach Makedonien übersiedelte.
Den Tragödien des Euripides wurde auch des Öfteren formale Nachlässigkeit
vorgeworfen, da er beispielsweise den Chor autonom, d. h. unabhängig von der
Haupthandlung des Dramas, agieren ließ und so in die Nähe des selbständigen
Liedes brachte. Zudem kombinierte er häufig einzelne Episoden, ohne auf den
inneren Gesamtzusammenhang und die allmähliche Entwicklung der Fabel zu
achten, entfaltete aber andererseits in Rachetragödien wie Medeia (431 v.
Chr., Medea) die Handlung konsequent von der Exposition über die Peripetie
hin zum Ende. Auf Kritik stieß Euripides also vor allem deshalb, weil er
einzelne Teile des Dramas betonte. Neben der Funktion des Chores betraf dies
vor allem den erklärenden Prolog, in dem traditionell die Voraussetzungen
der Handlung entwickelt wurden. Besonders Aristophanes unterstellte
Euripides, den Prolog starr und auf übertriebene Weise einzusetzen, indem er
ihn mit endlosen Erläuterungen zum Personal seiner Tragödien überfrachtete.
Zu den bevorzugten dramatischen Mitteln des Euripides zählte auch die
Verwendung eines Deus ex machina (lateinisch: Gott aus der Maschine), der
unmotivierte und nicht aus der Logik des Handlungszusammenhangs
resultierende Auftritt eines Gottes zur Lösung des dramatischen Konflikts.
Allerdings ist auch dieser im Euripideischen Drama ohne wahrhaft
metaphysische Züge und bietet nur bedingt eine Lösung der Verwicklungen an.
Vor allem auch die dramatischen Mittel des Monologs und der analytischen
Streitrede (agon) brachte Euripides zur Meisterschaft.
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